Kalenderblatt Januar 2019

Januar 2019

Der Schloßhof zu Wabern

Im Jahr 1857 trug sich in Wabern eine absurde Begebenheit zu, welche in den 1882 erschienen Erinnerungen eines Unbekannten - "Aus den Papieren eines verstorbenen kurhessischen Offiziers" - mit einem Kapitel ihren Niederschlag fand:

Großherzog Ludwig III. von Hessen war ein großer Freund von Ölbildern, insbesondere von Portraits der hessischen Fürstenfamilie. Dies machte in ihm den Wunsch rege, das bilderreiche Jagdschloß bei Wabern, drei Meilen von Cassel, zu besuchen. Im Jahre 1857 meldete er sich deshalb beim Kurfürsten Friedrich Wilhelm auf den folgenden Tag zu einem Besuche im Schlosse Wabern an. Zufällig war damals gerade das schadhaft gewordene Pflaster des geräumigen Schloßhofes vollständig aufgerissen und demnach in einem Zustande, in welchem man einen so hohen Gast nicht empfangen konnte. Der Kurfürst sah sich daher genötigt, gegen hundert Pflasterer sofort auf der Eisenbahn nach Wabern zu schicken, welche die Pflasterarbeiten alsbald in Angriff nehmen und während der folgenden Nacht bei Laternen- und Fackelschein beendigen mussten. Am nächsten Morgen sah man wie durch einen Zauber geschaffen das schönste Pflaster in einem großen Hofe, welcher am Tag zuvor noch eine große Sandwüste gewesen war. Gegen Mittag kam der Großherzog, wurde von dem etwas früher eingetroffenen Kurfürsten freundlich empfangen und glänzend bewirthet, denn schon am vorausgehenden Tage hatte eine zahlreiches Diener- und Küchenpersonal von Cassel alles Erforderliche vorbereitet und das nöthige Tafel- und Silberzeug in dem seit vielen Jahren unbewohnt gewesenen Schlosse festlich aufgestellt. Als man im folgenden Jahre dem Großherzog von Hessen in einer Audienz den Vorfall mit dem nächtlichen Pflastern des Schloßhofes in Wabern erzählte, sagte er lachend: "Ja, ja, das hat mir der Kurfürst selbst damals erzählt, damit hat er ein Meisterstück gemacht."

Wie so oft schmücken sich diejenigen mit der vollbrachten Leistung, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Während sich die Pflasterer den Rücken krumm geschuftet haben, hat sich der Herr Kurfürst warscheinlich genüsslich im Bett geräkelt. Und ob der Verfasser der Anekdote damals zugegen gewesen war, bleibt auch für immer unbeantwortet. Das er die neu verlegten Steine als das "schönste Pflaster" bezeichnet, legt den Schluß nahe, das er es selber nicht gesehen hat. Im Jahr 2013 wurde wegen Bauarbeiten ein Teil des Pflasters freigelegt, welches heutzutage (aus gutem Grund?) unter einer etwa 20cm hohen Deckschicht aus Erde und Basaltschotter verborgen ist. Dabei zeigte sich, das es sich nicht um ein regelmäßiges Pflaster aus quadratischen Basaltsteinen handelt, wie wir es z.B. noch von der Raiffeisenstraße zwischen dem Bahnübergang und der Brücke über die Eisenbahn kennen, sondern um ein "wildes" Pflaster aus unregelmäßig geformten Basaltbrocken. Vielleicht war das schöner anzusehende regelmäßige Pflaster zu dieser Zeit noch nicht üblich?

Neben dem eigentlichen Thema des Textes ist noch bemerkenswert, das das Schloß im genannten Jahr 1857 noch mit Ölgemälden bestückt war. Die größten Gemälde aus dem Schloß, die die Reiherbeize thematisieren, befinden sich heutzutage im Schloß Fasanerie bei Fulda. Eine Fußnote in den "Erinnerungen" gibt Auskunft darüber, das sie 1876 aus dem Schloß in Wabern entfernt wurden.

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