Kalenderblatt Dezember 2017

Dezember 2017

Unvergessliche Weihnacht (von C. Hansen)

Veröffentlicht im Buch "Weihnachtsgeschichten aus schwerer Zeit", herausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

"Der Krieg ist aus, bald geht's nach Haus". Das war der Jubelruf unserer kleinen Gruppe von fünf Soldaten am 7. Mai 1945. Wir hatten, als Überbleibsel eines Zuges von vierzig Männern, auf der Flucht vor den Russen, unter schwersten Kämpfen, die Elbe bei Ferchland (Raum Brandenburg) erreicht. Mit einem primitiven Holz- und Gummifloß konnten wir bei Nacht und Nebel auf das westliche Ufer der Elbe übersetzen. Von mürrischen amerikanischen Soldaten wurden wir empfangen, entwaffnet und auf eine große Wiese gebracht. Dort lagerten bereits 1.500 Soldaten unter strenger Bewachung. Die Sorge, so kurz vor Kriegsende verwundet oder gar getötet zu werden, war von uns gefallen. Nach den enorm anstrengenden harten Kämpfen der letzten Tage fielen wir bald hundemüde in einen tiefen Schlaf.

Doch das Erwachen im Morgengrauen war furchtbar. Am Ufer der Elbe war eine Fähre stationiert. Im Pendelver- kehr wurden alle Soldaten den russischen Truppen ausgeliefert. An ein Entkommen durch Flucht war nicht zu denken. Posten bei Posten standen amerikanische Soldaten um unseren armseligen Haufen. Während der Überfahrt sprangen vereinzelt Soldaten in voller Montur, beschwert mit ihrer letzten Habe, den Tornister auf dem Rücken, in die kalten Fluten der Elbe, um der russischen Gefangenschaft zu entgehen. Sie gingen unter und versanken schnell vor unseren Augen in der Tiefe. Kaum von russischen Soldaten in Empfang genommen, begann ein langer Fußmarsch nach Brandenburg. Wer bei dem Tempo der antreibenden Wachmannschaft nicht mithalten konnte, wurde von den Posten rücksichtslos erschossen und in den Straßengraben gerollt. In Brandenburg waren bereits viele Lager, jeweils besetzt mit tausenden von Gefangenen.

Von Mai bis September mussten wir dort Industriebetriebe demontieren. Die Maschinen wurden einfach wahllos auf die Bahn verladen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese jemals wieder verwendet wurden. Ab September gingen dann Transporte mit uns Gefangenen nach Russland. Die Reise dauerte 25 Tage. In jedem Viehwaggon waren 60 Personen untergebracht, als Unterlage diente ein wenig Stroh. Um den 30. September konnten wir endlich in Rjasan aussteigen.

Riasan liegt etwa 200 Kilometer südlich von Moskau. Der Winter stand vor der Tür. In den ersten Wochen wurden wir zur Arbeit auf Kolchosen verteilt. Kartoffeln und Kohl mussten dringend geerntet werden. Die letzten Kartoffeln ernteten wir mit Kreuzhacke und Brechstange im Frost, das war die richtige Verpflegung für uns Kriegsgefangene. Viele für uns fremde Arbeiten haben wir im Laufe der Jahre erlernt und ausgeführt. In der Eisengießerei am Hochofen, in der Sägerei an Gatter, in der Maschinenfabrik den Zusammenbau von Dreschmaschinen, Eissägen auf Flüssen und Seen. Das Eis wurde für die Lagerung von Kohl in großen Erdbunkern im Sommer benötigt. Die tägliche Arbeitszeit betrug mindestens zehn Stunden.

Die erste Weihnacht nahte: Jeder bekam am 15. Dezember eine Postkarte mit anhängender Rückantwortkarte. 25 Worte durften wir nur auf die Karte schreiben. Für unsere Unterkunft, wir waren 200 Personen in einer Baracke, hatten wir einige grüne Tannenzweige aus einem Wald mit in unser Lager geschmuggelt. Zufällig war unter uns auch ein Pastor, der uns aus dem Stegreif die Weihnachtsgeschichte predigte. Dann durften wir noch unter Aufsicht zweier Posten Weihnachtslieder singen. Essen gab es wie jeden Tag, wie auch Wodka – Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr, einerlei ob Sommer oder Winter. Täglich gab es 500 Gramm Brot, 250 Gramm Hirsebrei, 17 Gramm Zucker, 5 Gramm Tabak und 1 Liter Wassersuppe mit ein wenig Sauerkohl, darunter waren Fischgräten und Fischköpfe gemischt. Da ich nicht rauchte, konnte ich manchmal den Tabak gegen Zucker oder Postkarten tauschen.

Die erste Post von zu Hause kam im Dezember 1946, also ein Jahr nach Absendung unserer Weihnachtskarte von 1945. Es war die erste Nachricht von zu Hause seit Mai 1945.

Ab Juni 1947 wurde von einer baldigen Entlassung aller Gefangenen gemunkelt. Diese Parole kam übrigens auch immer wieder zur Sommermitte auf, wahrscheinlich um uns frischen Schwung zu geben. Die Heimkehr ließ aber doch noch zwei Jahre auf sich warten. Erst im Dezember 1949 wurde der Transport für unsere Heimkehr zusammengestellt. Genau am 24. Dezember 1949 erreichten wir gegen Mittag das Heimkehrer-Lager Friedland. Dort gab ich sofort ein Telegramm an meine Eltern auf.

Wir Heimkehrer hatten noch die Gelegenheit, den Weihnachtsgottesdienst in der Kirche Friedland zu besuchen, bis es dann auf der letzten Strecke per Bahn nach Hause ging.
Foto: Peter Zerhau, HNA

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