Kalenderblatt September 2015

September 2015

Kindheitserinnerungen: "Der Schlammteich"

Die diamantene Konfirmation im Juni 2014 bot Gelegenheit, das Gedächnis aufzufrischen. Unsere Kindertage waren schön damals - jedenfalls, wenn man heute dran denkt! Heutiges Sicherheitsdenken und Perfektion waren unbekannt. Es wurde gesammelt, probiert, gebastelt und improvisiert. Anstelle eines Handys mußten wir, um die Freunde zusammenzurufen, auf den Fingern pfeifen können. Ein Fahrrad konnte man nicht nach Farbe, Größe oder Einsatzweck kaufen, sondern es wurde von den großen Brüdern aus vorhandenen Bauteilen zusammengeschraubt.

Mein Vater, Dr. Hugo Boettger, wuchs in einem Ort ca. 20 km NW von Halle/Saale auf. Den 1. Weltkrieg verbrachte er als Kriegsfreiwilliger in Frankreich. Nach dem Chemiestudium war er zunächst etwa 10 Jahre Betriebsleiter von Zuckerfabriken bei Danzig, ehe er 1933 für ca. 30 Jahre Technischer Direktor der Zuckerfabrik Wabern wurde. In Danzig heiratete er seine Frau Ursula: Ich kam als jüngstes und letztes von 4 Kindern grade noch vor dem großen Krieg zur Welt.

Nordöstlich hinter der Zuckerfabrik lag der Schlammteich. Er war hauptsächlich das Klärbecken für die Abspritz-und Waschwässer der Rüben, die in regenreichen Jahren viel vom Ackerboden mitbrachten. Den konnten die Bauern, nachdem er getrocknet war, wieder abholen und zurück auf die Felder bringen.

Dieser Schlammteich war zu jeder Jahreszeit ein besonders schöner Spielplatz für uns. Im Sommer wurde die getrocknete Erde mithilfe einer Feldbahn ausgefahren. Wenn die Arbeiter Feierabend hatten, konnte man herrlich auf den Loren die Rampe herunter rasen, wobei die Karren oft entgleisten. Das war nicht ganz ungefährlich. Danach machten wir uns tunlichst aus dem Staube. Ochsen waren damals sozusagen die heutigen Traktoren: Zugtiere für Eisenbahnwaggons, Loren und alles, wofür man viel Kraft brauchte. Auf ihnen machten wir auch unsere ersten Reitversuche.

Wenn es im Herbst und Winter in den Flüssen zu kalt wurde, wir aber trotzdem ins Wasser wollten, blieb uns auch wieder der Schlammteich. Er war bis Kampagneende durch die Fabrik relativ warm, aber stank so stark, daß Mutter immer sofort wußte, wo wir wieder gewesen sind. Dieses Gewässer war auch "schiffbar": Man brauchte bloß "irgendwo" ein alte Tür und einige Balken zu "finden" und hatte ein prima Floß. Wenn "Feinde" kamen, mußte man vom Ufer weg: außer "Zwillenreichweite".

Die Winterfreuden wurden von Eis und Schnee bestimmt. Eislaufen auf dem Schlammteich oder auf den überschwemmten Schwalmwiesen war sehr beliebt. Die Schlittschuhe hatten verstellbare Backen mit Zähnen und wurden direkt an den Schuhsohlen befestigt, die dann auch gelegentlich abrissen. Eishockey war besonders toll: Zwei Steine markierten je ein Tor, ein gebogener Weidenstock war der Schläger und eine Amimilchdose diente als Puck.

Spaß machte es auch im Winter, wenn sich unter der gefrorenen Oberfläche des Schlamms Sumpfgas in großen Blasen angesammelt hatte. Man mußte mindestens zu zweit für ein schönes Spiel sein und brauchte zwei Stöcke und eine Kerze: Einer stach die Blase an und der Zweite entzündete das Gas aus sicherer (?) Entfernung mit der Kerze am zweiten Stecken. Wenn es schon ein wenig dunkel war, sah die geisterhafte, bläulich-gelbe Flamme sehr schön aus.

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