Kalenderblatt April 2015

April 2015

"So war es früher" - Kindheitserinnerungen von Sigrid Laabs geb. Weidemann (Teil 2)

Erste Ausflüge in die Nachbarschaft

Als ich noch nicht laufen konnte, stand meine Mutter oft am offenen Schlafzimmerfenster und hatte mich auf dem Arm. Der Blick ging über die Straße auf Gerths Hof, wo fast immer jemand herumlief und dann zu uns herüberwinkte oder über die Straße kam, um mit uns zu reden. Ich sah meine ersten Kühe, Katzen, Hühner, den Hund Mobbi aus diesem Fenster und die Menschen, die auf dem Hof lebten, waren mir von Anfang an vertraut.

So war es kein Wunder, dass ich sofort, als ich allein laufen konnte, durch den Vorgarten über den Kirchplatz mit der Linde und über die gepflasterte Straße zu Gerths auf den Hof marschierte.

Davor gab es aber leider ein Hindernis. Zwischen Straße und Hof war eine "Kannel", zu deutsch, ein offener Kanal. Eine Rinne, durch die das Regenwasser und wer weiß was sonst noch alles für abgestandene Brühen liefen. Je nach Wetterlage war die Kannel voll und roch recht abgestanden. Mit meinen kurzen Beinchen musste ich nun einen großen Schritt machen, um darüber hinweg zu kommen. In der ersten Zeit bin ich oft hineingefallen, mal nach vorn, mal nach hinten, und dann heulend und völlig verdreckt wieder nach Hause gelaufen.

Mutter beschreibt das in meinen Kindheitserinnerungen. Sie sah stolz hinter mir her, wie ich frisch und sauber angezogen loszog, und war entsetzt, wenn ich dann wieder stinkend und nass zurückkam. Es gab ja keine Waschmaschine. Die große Wäsche wurde einmal im Monat in der Waschküche gewaschen, die kleine Wäsche wöchentlich mit der Hand in der Küche oder auf dem Hof. Im Winter hing sie zum Trocknen in der Küche über dem Herd.

Aber auch nachdem ich nicht mehr in die Kannel fiel, blieb ich ein Schmutzfink. Mutter klagte oft, dass Gesicht, Hände und die Schürze von Klein-Sigrid immer dreckig waren. In diesem Zusammenhang ergab sich einmal folgendes Zwiegespräch zwischen uns:

Mutter: "Nun sieh dir nur mal deine Strümpfe an! Wie kommt denn das große Loch da hinein?"
Sigrid: "Das war ich nicht!"
Mutter: "Wer denn?"
Sigrid: "Das war der liebe Gott, der hat mich da am Knie gekratzt!"

Alltag auf Gerths Bauernhof

Wie sollte man auf dem Bauernhof auch sauber bleiben? Wir saßen beim Spielen auf der Erde und nicht im Sandkasten. Im Stall bei den Kühen und Schweinen war es glitschig und roch würzig nach Mist und Jauche. In der Scheune sammelten wir die Hühnereier im Heu und Stroh ein, dort war es staubig und dunkel. Wir zerkleinerten die Futterrüben in der Rüben-Schnitzelmaschine und fütterten abends die Hühner mit Weizenkörnern.

Auf dem Kirchplatz, der auch zugleich Schulhof war, spielten wir Ball oder Hickekästchen und schlugen den "Dullerdopp", einen Holzkreisel, mit der Peitsche auf dem blanken Boden. Im Herbst versteckten wir uns in den zusammengefegten Laubhaufen unter der Linde.

Am stolzesten und glücklichsten war ich, wenn ich mit Onkel Gerth ins Feld fahren durfte. Vorn auf dem Kasten- oder Leiterwagen war quer ein Sitzbrett, der sogenannte Bock. Hier durfte ich zwischen ihm und Georg sitzen und die Peitsche halten. Manchmal sogar auch die Zügel, mit denen die zwei Kühe geführt wurden. Hüh und hott und brrr konnte ich schon früh rufen und die Kühe kannten den Weg meistens sowieso allein.

Wir Kinder brachten beim Kartoffelernten, Rübenhacken oder bei der Getreideernte nachmittags oft den Korb mit heißem Kaffee und Streuselkuchen aufs Feld. Nach dem gemeinsamen Schmausen durften wir dableiben und spielen. Spielzeug gab es nicht, und trotzdem haben wir uns nie gelangweilt. Abends fuhren wir dann mit dem Kuhgespann nach Hause. Oft habe ich mich dann mit einem Messer oder Stöckchen hingesetzt und den feuchten Lehm von den Wagenrädern abgeschält. Das war eine völlig überflüssige Beschäftigung, die mir aber ungeheure Befriedigung verschafft hat.

Im Frühjahr, an den ersten warmen Maiabenden, flogen die Maikäfer oft in Scharen. Die großen Kinder aus der ganzen Nachbarschaft trafen sich auf Gerths Hof mit Reiserbesen und gingen auf Maikäferjagd. Die Käfer wurden gesammelt und den Hühnern und Schweinen als Futter gegeben. Mir war das alles nicht ganz geheuer, denn ich ekelte mich furchtbar vor den Käfern und traute mich nicht, sie anzufassen. Aber auch ich hatte meinen eigenen Besen mitgebracht und schrie jedes Mal laut um Hilfe, wenn ich einen erwischt hatte, damit man ihn mir in meine Zigarrenkiste steckte.

Im Sommer stand dann die riesige Dreschmaschine auf dem Hof. Verwandte und Nachbarn kamen zum Helfen, denn man musste alles an einem Tag schaffen. Jeder hatte seinen Platz an dem Ungetüm, und wir Kleinkinder wurden angehalten Abstand zu halten und nicht im Weg herumzustehen. Es dröhnte und staubte unvorstellbar. Die Dreschmaschine jagte mir Angst ein und zog mich doch magisch an. Am Abend waren dann alle müde, verstaubt, aber glücklich, die Arbeit gut erledigt zu haben. Nun gab es ein besonders ausgiebiges Abendbrot, denn den Helfern gegenüber musste man sich dankbar zeigen.

Zurück zur Kalenderseite