Kalenderblatt Dezember 2001

Dezember 2001

Evangelische Kirche

Der Finanzierungsplan für die evangelisch-reformierte Kirche in Wabern beginnt im Jahr 1716 mit 100 Reichstalern von Landgraf Karl. Im Jahr 1718 wird eine landesweite Kollekte in Niederhessen durchgeführt und erbringt 667 Reichstaler. Am 9. Januar 1722 wird die Baugenehmigung vom Konsistorium in Kassel erteilt. Die Inschrift "Anno 1722" findet sich über dem Ostportal. Im Frühjahr 1722 erfolgt der Abbruch der alten Fachwerkkirche. Im März 1722 wird eine provisorische Kanzel und ein Podest auf dem Kirchhof errichtet. Die Fundamente werden in Fronarbeit durch die Dorfbewohner erstellt. Der Maurermeister war Lorenz Gruber (hess. Grüber) aus Tirol. Der Architekt ist unbekannt. Ende Mai sind die Grundmauern fertig. Am 23. Juni 1722 ist die Grundsteinlegung in einer oberen Schicht der Grundmauern. Das Bauholz wird in den Wäldern bei Jesberg und Densberg geschlagen. Fuhrleute aus Treysa bringen es nach Wabern, weil Wabern damals ein "zu geringes Geschirre" hatte. Das Mauerwerk steht bis Herbst 1722. Im Oktober 1722 wird der Dachstuhl aufgeschlagen. Die Schiefersteine für den Turm werden aus dem "Kölnischen" (= Raum Brilon) geholt. Der Rohbau wird planmäßig vor Einbruch des Winters fertiggestellt. Am Silvestertag 1722 wird der Turmknopf bezahlt. Ende 1723 gibt es einen Baustop aufgrund von Geldnot nach einer Missernte. Nach seiner Erkrankung im Jahr 1724 erlässt Landgraf Karl am 11.05.1725 ein Dekret zum weiteren Innenausbau, zur Restfinanzierung und zum Einbau einer Fürstenloge. Im Jahr 1726 wird ein neues Altartuch gekauft, nach den damaligen Gebräuchen zur Einweihung der Kirche. Die Gesamtkosten des Kirchbaus betragen 1700 Reichstaler.

Der Einbau der Rokokoorgel von Johann Philipp Schellhase aus Homberg erfolgt im Jahr 1752. 1889 fand eine große Kirchenrenovierung statt, bei der die Landgrafenloge abgerissen und die Nordempore eingebaut wurde. 1970 erfolgte im Zuge einer Renovierung die Versetzung der Orgel von der West- zur Ostseite des Kirchenschiffs.

Landgraf Karl von Hessen-Kassel (1654-1730) wollte sich in Wabern eine Nebenresidenzkirche bauen. Die stark baufällige Vorgängerkirche stand an gleicher Stelle und wurde vermutlich als Fachwerkkirche um 1400 erbaut. An diese Zeit erinnern noch die Taufschüssel aus dem Jahr 1660 und die beiden Glocken aus den Jahren 1470 und 1490. Die neue Kirche sollte höfischen Maßstäben entsprechen, damit Landgraf Karl, der sich im Frühjahr und im Herbst zur Reiherjagd in Wabern im Schloß aufhielt, eine würdige Kirche für den sonntäglichen Gottesdienstbesuch hatte.

Das Hauptmerkmal der Kirche ist, dass sie als Querkirche gebaut wurde. Diese Bauform, die aus dem Gedankengut der Reformation entstanden war, wurde von Landgraf Karl neben religiösen Gründen auch deshalb gewählt, weil sie es erlaubte, eine fürstliche Loge in besonders hervorgehobener Stelle anzulegen. Genau gegenüber der Kanzel saß der Landgraf in bester Hör- und Sichtweite. Die Loge des Landgrafen war nur von außen durch eine Treppe zugänglich. Die Loge und die Treppe wurden 1889 abgerissen, da sie nach dem Machtverlust des Kasseler Hauses nicht mehr benötigt wurden und die Gemeinde zusätzliche Sitzplätze durch eine Empore gewinnen wollte.

Die drei Holztafeln mit dem Wappen der Landgrafschaft und dem Monogramm des Landgrafen Karl zeigten allen auch bei Abwesenheit des Landgrafen, wer der Erbauer der Kirche und der "Herr" im Hause war. Heute erinnern sie an den fürstlichen Ursprung der Kirche.

Die Kanzel ist nach reformierter Tradition das Zentrum der Kirche. Sie trägt auf den steinernen Seitenflächen vier Bibelworte, die eindrücklich die reformierte Tradition belegen. Die Bauakten und der steinerne Corpus lassen vermuten, dass die Kanzel aus der Vorgängerkirche stammt und nur neue hölzerne Schmuckelemente erhalten hat.

An den beiden Längsseiten der Kirche finden sich vier Medaillons. Sie stammen aus diesem Jahrhundert und zeigen die vier Evangelisten, die mit den altkirchlichen Symbolen ausgedrückt werden: Der Löwe steht für Markus, der Stier für Lukas, der Mensch für Matthäus und der Adler für Johannes. Mit diesen Bildern und mit Kerzen, den Blumen und dem Kreuz auf dem Altar wird deutlich, dass die strenge Auslegung des reformierten Bilderverbotes aufgegeben wurde. Die Gemeinde hat den Wert von Symbolen im Kirchenraum wiederentdeckt.

(Ausführliche Informationen in: Kathrin Ellwardt: "Die Evangelisch?reformierte Pfarrkirche in Wabern. Ein kunstgeschichtlicher Kirchenführer", hrsg. v. Horst Schattner, Wabern 1998)

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