Kalenderblatt August 2015

August 2015

Josef Wollny: Mein langer Weg von Reinschdorf in Schlesien nach Wabern

Am 18. Dezember 1928 wurde ich als jüngstes von fünf Kindern des Ehepaars Wilhelm (geb. 11.10.1887, gest.1951) und Maria (geb. 08.09.1890, gest. 1968) Wollny in Reinschdorf (nahe der Stadt Cosel an der Oder) in Oberschlesien geboren. Vor mir hatten bereits meine Geschwister Hans (geb. 1918), Anna (geb. 1920), Agnes (geb. 1923) und Margarete (geb. 1925) das Licht der Welt erblickt. Nach der Volksschule begann ich mit 14 Jahren eine Lehre als Elektriker, die ich am 28. Dezember 1944 durch den Einzug ins Wehrertüchtigungslager in Polen unterbrechen musste. Der Vormarsch der russischen Armee zwang uns zur Flucht und ich wurde mit 200 anderen Jugendlichen in Prag beim Arbeitsdienst eingesetzt. Am 28.02.1945 wurden wir von dem Wehrmacht Grenadier-Ersatz-Bataillon 97 in Königgrätz in der CSSR übernommen. Kurz darauf verlegte man uns nach Bayern und wir wurden zwangsweise in die SS Division "Nibelungen" eingereiht. Ende April 1945 kamen wir in amerikanische Gefangenschaft und wurden zuletzt in Regensburg interniert. Nach vier Wochen entbehrungsreicher Zeit hinter Stacheldraht - wir bekamen kaum etwas zu essen, auch wenig Wasser zu trinken und hatten keinen wärmenden Schutz - zusammen mit über 100.000 Gefangenen, wurden zuerst Landwirte und Eisenbahner entlassen. Da ich keinerlei Ausweispapiere hatte, meldete ich mich als Landwirt und wurde zusammen mit drei anderen Kameraden, die aus meinem Heimatort stammten, nach Weiden in der Oberpfalz entlassen. Ich denke noch daran, wie wir dort an einer Haustür schellten, um um etwas Brot zu bitten. Wo wir denn hin wollten, fragte die Frau, die die Tür öffnete. Als wir antworteten, dass wir nach Hause nach Schlesien wollten, teilte diese uns mit, dass wir doch völlig verkehrt Richtung Österreich unterwegs wären. Bald war uns dann auch klar: Nach Hause konnten wir nicht, dort standen die Russen und Polen. Im Nachbarort würde ein Landwirt aber Hilfskräfte suchen, gab uns die Frau einen Rat. Dorthin gingen wir dann auch und arbeiteten in der Folge schwer, für wenig Lohn, immerhin mit sicherer Unterkunft, aber bescheidener Verpflegung. Dieses veranlasste auch zwei meiner Kameraden, doch weiter in die Heimat zu ziehen. Durch sie erfuhr dann meine Mutter in Reinschdorf von meinem Verbleib. Meine Schwestern Agnes und Margarete, die durch einen Bekannten mittlerweile nach Wabern gekommen waren, erfuhren dann durch meine Mutter von meinem Aufenthalt in Weiden. So kam es schließlich, dass ich selbst am 13.02.1946 ebenfalls nach Wabern zog. Meine Mutter sollte ich erst 12 Jahre später wiedersehen. Meinen Vater sah ich nicht wieder, er verstarb bereits im Jahr 1951.

In Wabern konnte ich bei der Firma Elektro-Kahl meine in Schlesien begonnene Lehre beenden und noch zwei Jahre als Geselle arbeiten. Im April 1949 wurde ich im Karlshof als Elektroinstallateur eingestellt. Im Laufe der nächsten Jahre erlangte ich zwei weitere Berufsqualifikationen als Schlosser- und Elektromeister. Ich erinnere mich an die Meisterschule in Fritzlar. Nach der Arbeit im Karlshof fuhr ich mit der Bahn nach Fritzlar. Zurück dann spätabends, so gegen 22.30 Uhr, fuhr aber kein Zug mehr, und so musste ich jedes Mal zu Fuß nach Wabern zurück. Das zwei Mal die Woche. Nach den Meisterschulen wurde ich entsprechend in der Lehrausbildung im Karlshof eingesetzt.

Zwischenzeitlich lernte ich meine Frau Ännchen, geb. Brencher (*1930) kennen und heiratete sie 1952. 13 Jahre bewohnten wir eine Dienstwohnung des Karlshofes in der Kurfürstenstraße und nach der Geburt unserer beiden Töchter zogen wir in unser Eigenheim in der Wildunger Straße. Meine Schwester Agnes heiratete Willi Grüber aus Wabern, sie verstarb in 2011. Meine Schwester Margarete heiratete nach Lendorf Konrad Semmler und verstarb im Jahr 1997. Bruder Hans, den es in die Lutherstadt Wittenberg verschlagen hatte, wurde im Jahr 1975 tragisches Opfer eines Verkehrsunfalls und Schwester Anna, die ihr Leben größtenteils in Reinschdorf verbracht hatte, verstarb 2013 in Münster, im stolzen Alter von 93 Jahren.

Seit Ende 1988 bin ich Rentner. Im Jahr 2006 verstarb meine jüngere Tochter nach einer schweren Krankheit und meine Frau verlor ich im August 2011. Ich habe vier Enkelkinder und zwei Urenkel zu denen ich regelmäßig Kontakt halte. Obwohl ich mich in Wabern sehr wohl fühle und gute Freunde, Bekannte und Nachbarn hatte und habe, zog und zieht es mich immer wieder in die alte Heimat. Im Jahr 1993 konnte ich diese auch im Rahmen einer einwöchigen Gemeindefahrt der katholischen Kirchengemeinde Wabern vielen näher bringen. Zuletzt konnte ich im Juni 2014 meine restliche Verwandtschaft und alte Freunde zusammen mit meiner Tochter Renate Wenghöfer in Schlesien besuchen und den ständigen Fortschritt des Landes beobachten. Für viele, die noch wissen, dass ein deutsches Wort in der Öffentlichkeit nach dem Krieg in Oberschlesien den Tod bedeuten konnte, fast unbegreiflich: Die Ortsschilder an Orten mit mindestens 50% deutschstämmiger Bevölkerung sind mittlerweile zweisprachig!

Zurück zur Kalenderseite