Kalenderblatt März 2007

März 2007

Das Haus Bahnhofstraße 40 und seine Bewohner

Im Jahr 1880 kam Johann Christian Heinrich Neddermeyer (*04.03.1852 in Dettum +1913) als Bauleiter für den Bau der neuen Zuckerfabrik nach Wabern. Die "Casino" genannte Betriebskantine der Zuckerfabrik und die Wohnungen der leitenden Angestellten waren die ersten von ihm erstellten Gebäude. Noch Fertigstellung der Fabrik machte er sich in Wabern selbständig. Im Rahmen seiner neuen Tätigkeit hatte er im Jahr 1884 die erste Hartsteingewölbebrücke in Deutschland bei Hemfurth erbaut. Sie war eine Versuchsbrücke, an der festgestellt werden sollte, ob sich das am Ort befindliche Gestein (Grauwacke und Basalt) für den Bau einer Schwergewichtsgewölbesperrmauer eignete. Diese Brücke war die erste Vorarbeit für die vor dem 1 . Weltkrieg gebaute Edertalsperre. Kurz nach der Jahrhundertwende richtete Heinrich Neddermeyer das Haus in der Bahnhofstraße 40 neu auf und pflanzte auch die Linde, die bis heute vor dem Haus steht. Dieses Haus soll sich vorher an anderer Stelle außerhalb Waberns befunden haben und war im Besitz eines Großgrundbesitzers aus unserer Gegend.

Heinrich Neddermeyer war mit Auguste Hesse (*27.03.1858 +1938) verheiratet und hatte drei Töchter und einen Sohn. Die zweitgeborene Tochter Margarethe Anna (*17.03.1884 +1971) heiratete 1912 Heinrich Fröhlich (*14.04.1884 +1961), den Heinrich Neddermeyer im Jahr 1912 als Bauführer einstellte und der nach dem Tod von Heinrich Neddermeyer im Jahre 1913 den Betrieb als Geschäftsführer leitete. Heinrich Fröhlich hatte mit seiner Ehefrau Margarethe fünf Kinder:

Frieda (*1912), später verheiratete Klingler (Falkenberg)
Otto (*1914 +1989)
Grete (*1915), später verheiratete Fügener (Eschwege)
Theo (*1921 +1941 bei Deriewka in der Ukraine)
Heinz (*1925)

Nach dem 1. Weltkrieg machte sich Heinrich Fröhlich unter der Firmenbezeichnung "Heinrich Neddermeyer - Nachfolger Heinrich Fröhlich" selbständig. Das von Heinrich Fröhlich gegründete Unternehmen bestand bis vor einigen Jahren. 1919 ging der ledige Otto Neddermeyer von der Reichsbahn als Regierungsbaumeister ab. Er arbeitete als Dozent an einer Staatsbauschule und als Geschäftsführer eines großen Bauunternehmens. 1925 gründete er zusammen mit seinem Schwager - Heinrich Fröhlich - ein Gleisbaugeschäft. Der erste Firmensitz war in Halle an der Saale. Otto Neddermeyer war im Besitz von vielen Patenten. So entwickelte er ein völlig neues Umbauverfahren im Gleisbau, eine Art erstes Fließbandverfahren im Gleisoberbau. Hierdurch wurden die Arbeiten rationalisiert, und vor allen Dingen wurde die körperliche Schwerstarbeit stark eingeschränkt. Das Verfahren "Neddermeyer" revolutionierte den Gleisbau und machte den Namen "NEDDERMEYER - WABERN" weit über die Grenzen Deutschlands bekannt. In Zusammenhang mit diesem Verfahren entwickelte er auch die erste Bettungsreinigungsmaschine.

Im Jahr 1929 siedelte Otto Neddermeyer nach Wabern in das Haus Bahnhofstraße 40 über. Er führte von da an das Gleisbaugeschäft allein als Tief- Straßen- und Eisenbahnbau weiter. 1930 erbaute er das Haus 42 in der Bahnhofstraße und zog im Frühjahr 1931 mit seiner Familie dort ein. Nach dem Auszug der Familie Fröhlich aus dem Haus Nr. 40 baute Otto Neddermeyer das Haus um. Die Außenansicht von damals ist bis heute unverändert geblieben. Die Firma Otto Neddermeyer bekam neben den Arbeiten im Bereich der Deutschen Reichsbahn auch Aufträge von den französischen und tschechischen Staatsbahnen. Zu Anfang des zweiten Weltkrieges waren Arbeitskolonnen der Firma Otto Neddermeyer außer bei der Reichsbahn auch mit ihren Maschinen in Polen und der Tschechoslowakei beschäftigt. Bei Kriegsende ging ein erheblicher Teil des Maschinenparks verloren. Die Häuser der Bahnhofsstraße 40 und 42 wurden von der US-Armee besetzt, die Familien Neddermeyer und Fröhlich sowie viele Mitbewohner, die durch Bomben ihre Wohnungen in Kassel verloren hatten, mussten innerhalb von 15 Minuten ausziehen. Zuerst wurde das Haus 40 von Offizieren des Stabes eines B17-Geschwaders der US-Air-Force bewohnt. Von 1946 bis 1949 bewohnte der Kommandeur des Flugplatzes Fritzlar, Oberst Sell, das Haus 40. Familie Neddermeyer wurde bei Familie Mose, Homberger Straße und die Familien Fröhlich und Kramm in einer Garage der Firma Fröhlich in der Tannenbergstraße untergebracht.

Im Jahr 1945 begann für den Betrieb Otto Neddermeyer mit 50 bis 100 Personen ein Neuanfang. Außer Gleisinstandsetzungsarbeiten wurden drei Schrottzerlegestellen in Hemfurth am Edersee, beim Bahnhof Wabern und beim Bahnhof Eschwege West eingerichtet, um das im Krieg zerstörte Material der Reichsbahn zu zerlegen. 1946 verstarb Otto Neddermeyer unerwartet. Der Betrieb wurde nun durch einen Geschäftsführer weitergeführt. Nach der Währungsreform 1948 stellte die Deutsche Bundesbahn sämtliche Arbeiten ein und zog bereits erteilte Aufträge zurück. Dies war für die Firma Otto Neddermeyer ein schwerer Rückschlag.

Im Jahr 1949 trat der Dipl. Ing. Heinz Fröhlich, Sohn des Baumeisters Heinrich Fröhlich, als Betriebsführer ein. Heinz Fröhlich hat mit seiner Ehefrau Rosemarie geborene Schöttler (*1927, +1999) sechs Nachkommen: Gerhard (*1951, +1974), Lutz (*1953), Heidi (*1955), Annegret (*1958), Sybille (*1960) und Frank (*1963). Im Jahr 1950 fing der Betrieb mit drei Personen wieder neu an. Im Jahr darauf konnte der Betrieb Otto Neddermeyer allmählich wieder erweitert und vergrößert werden. 1960 hatte das Unternehmen eine Belegschaft von 500 Mann erreicht, es war nun zu einem der größten seiner Branche in Hessen geworden. Die Firma führte Gleisbauarbeiten im gesamten Bundesgebiet von Westerland bis Freilassing (vor Salzburg) und von Emmerich und Saarbrücken bis zur Zonengrenze aus und hatte Niederlassungen in Bottrop und Erntebrück.

1953 wurde das Haus 40 sowie auch 42 durch die Besatzungsmacht frei gegeben. In das Haus 40 zog Familie Otto Fröhlich sowie Heinrich und Margarete Fröhlich und Luise Neddermeyer ein. Im Haus 42 wurden die Büros der Firma Otto Neddermeyer und Heinrich Fröhlich sowie der Familie Heinz Fröhlich untergebracht. 1959 erbaute Otto Fröhlich sein Wohnhaus in der Tannenbergstraße. Die Büros der Firmen Otto Neddermeyer und Heinrich Fröhlich zogen in das Haus 40 um. Die Nutzung als Bürohaus erfolgte bis 1995. Im gleichen Jahr ging das Objekt in den Besitz von Herrn Reif über. Das Mehrfamilienhaus wird seit 1996 von den neuen Eigentümern Familie Schubert und Familie Mangold bewohnt.

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